Kryptobotanik


IV - Kryptiden in Literatur und Film



Aus frühester Jugendzeit ist mir vage ein alter s/w-Tarzanfilm mit einer menschenfressenden Pflanze in Erinnerung, deren sternförmig auf dem Boden ruhende Ranken sich käfigartig um ihr Opfer schlossen, sobald dieses in ihre Mitte getreten war. Bei dem Opfer handelte es sich ausnahmsweise nicht um eine Frau, sondern um den Titelhelden höchstpersönlich. Befreit wurde er schließlich von einer Gruppe herbeigerufener Elefanten. Der Film trägt im Original den Titel "Tarzan's Desert Mystery" (dt.: "Tarzan, Bezwinger der Wüste"), und neben menschenfressenden Pflanzen muss der Held in diesem Streifen zudem gegen unfreundliche Affenmenschen, Riesenechsen und eine Riesenspinne antreten.

Desert Mystery

1951 erschien der Roman "The Day of the Triffids" (dt.: "Blumen des Schreckens") des britischen Autors John Wyndham, der 1962 von Steve Sekely im Trash-Charme verfilmt wurde. Der Plot: Nach einem Meteoritenschauer ist die gesamte Bevölkerung, die das nächtliche Spektakel bewunderte, erblindet. Gleichzeitig hat sich praktisch über Nacht im Land eine neue Pflanzenspezies ausgebreitet. Die intelligenten und zur Kommunikation fähigen Triffids sind in der Lage, sich selbst zu entwurzeln und fortzubewegen. Bald überrennen ganze Heerscharen der riesigen, hochgiftigen Pflanzen die Erde und machen Jagd auf die hilflos umherirrenden Menschen.

Im Film von 1962 sind die "menschenjagenden" Triffids in etwa so flink wie schwangere Galapagos-Schildkröten. Sehr amüsant ist das Finale geraten, in dem sich Scharen der possierlichen Pflanzen aus der "Jagd" nach den Filmhelden die enge Leuchtturm-Wendeltreppe hinaufquetschen …

Triffids Cover

1981 verfilmte die BBC das Buch als sechsteilige TV-Serie, die jedoch bis heute nicht in Deutschland ausgestrahlt wurde. Im Jahr 2001, exakt ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen des Originals, veröffentlichte der britische Autor Simon Clark mit "The Night of the Triffids" eine Fortsetzung, die 25 Jahre nach den Geschehnissen aus "The Day of the Triffids" angesiedelt ist. Als Namenspatron für seine menschenfressenden Pflanzen diente John Wyndham übrigens NGC 6514, besser bekannt als Trifidnebel. Der Name stammt von dem lateinischen Wort trifidus, "dreigeteilt, dreigespalten".

Im britischen Sprachraum wird der Name Triffid inzwischen als Synonym für fast jede seltsam aussehende Pflanze gebraucht. Falls also im Urlaub auf der Insel jemand zu euch sagt: "Hey, you look like a Triffid!", dann seht ihr zwar um drei Ecken aus wie ein Filmstar, aber es ist nicht unbedingt als Kompliment zu werten …

Dass es auch wesentlich flotter, dynamischer und witziger geht, bewiesen Alan Menken und Howard Ashman 1982 mit Audrey II in "The Little Shop of Horrors" (dt.: "Der kleine Horrorladen"), einer Musicaladaption des gleichnamigen, 1960 gedrehten Films von Roger Corman. Unvergesslich bleibt die Aufzucht, Pflege und Fütterung der anfangs noch winzigen Pflanze aus dem All bis hin zum hausgroßen, Weltherrschaftspläne schmiedenden Ungeheuer, das zur Not auch mal telefonisch "Pizza" bestellt ("Schicken Sie bitte den dicksten Pizzaboten, den Sie haben …!") Allgemeine Bekanntheit erlangte das Musical letztlich durch die Filmversion von Frank Oz und Darstellern wie Rick Moranis, Ellen Greene, Steve Martin, Bill Murray oder James Belushi.

   

Audrey II aus The Little Shop Of Horrors. Zwei Auschnitte aus dem Musical von 1982. Links der Song "Feed Me, Semour!" (5:37 Min.), rechts "Mean Green Mother From Outer Space" (4:16 Min.). Quelle: YouTube.

Noch bekannter dürfte inzwischen die Handlung von Jack Finneys 1955 erschienenem Roman "Invasion of the Body Snatchers" (dt.: "Die Körperfresser kommen") sein. Überall auf der Welt werden auf Blumen und Pflanzen zuerst undefinierbare Mikroorganismen, dann rasch auch große Samenkapseln gefunden. Gleichzeitig behaupten immer mehr Menschen, ihre Freunde und Verwandten wären nicht mehr sie selbst, fast so, als hätte man sie durch emotionslose Doppelgänger ausgetauscht. Bald findet der Protagonist die Wahrheit über die eigenartigen Mikroorganismen heraus: Während die Menschen schlafen, entwickeln sich innerhalb der Samenkapseln in deren unmittelbarer Nähe menschliche Duplikate und töten die Originale. Nach und nach werden die Bewohner der Städte durch Aliens ersetzt …

"Invasion of the Body Snatchers" wurde 1956 erstmals verfilmt (dt.: "Die Dämonischen") und erlebte bisher vier Remakes, dessen jüngstes, "Die Invasion", derzeit mit Nicole Kidman in der Hauptrolle in den Kinos läuft. Dazwischen erschien 1977 unter dem Titel "Die Körperfresser kommen" die von Philip Kaufman gedrehte und nicht zuletzt dank Donald Sutherland, Leonard Nimoy und Jeff Goldblum bisher wohl bekannteste Verfilmung. 1993 verfilmte Abel Ferrara den Stoff unter dem Titel "Body Snatchers" . 1998 kam eine von Robert Rodriguez allgemein als Satire betrachtete Version namens "The Faculty" in die Kinos.

Cover Compilation

Auf Romane folgten Filme, auf Filme oft Comics: (v.r.n.l) Titelbild des Comics Korak - Son of Tarzan # 5 von 1964, Cover der Comicadaption zum Film Fantastic Voyage (dt.: Die phantastische Reise) von 1966, Filmplakat zum B-Movie Das Geheimnis der Todesinsel (orig.: La Isla de la muerte). Weitere Verleihtitel waren The Bloodsuckers, Death Island, Island of the Dead, Island of the Doomed und Man Eater of Hydra. Rechts das Cover zu The Night of the Triffids von 2001.

In der Fantasy- und Horrorliteratur hat man es oft mit lebenden Bäumen oder ganzen Wäldern zu tun. Ein populäres Beispiel sind die Ents, die Baumhirten aus dem "Herrn der Ringe", mit Baumbart, dem Hüter des Fangorn-Waldes als Anführer. Viel Phantasie bewies W. D. Rohr 1953 in seinem Roman "Hölle Venus", in dem gigantische, giftige Sporen absondernde Pilzen und fleischfressende Pflanzen unseren Nachbarplaneten ungemütlich machten. Für viele Leser an Originalität bisher unerreicht ist Alan Dean Fosters 1975 erschienener SF-Roman "Die denkenden Wälder" (org.: "Midworld"), in dem die Protagonisten sich nach der Bruchlandung auf einem Waldplaneten durch das geschlossene Ökosystem eines kilometerhohen Dschungels kämpfen müssen. Im Film "Jumanji" tobt sich eine riesige fleischfressende Pflanze aus, die fähig ist, mit ihren Tentakeln ganze Polizeifahrzeuge zu ergreifen und zu zerquetschen. Aktuellere Beispiele für recht eigensinnige Pflanzen sind die wehrhaften, giftigen Sarracenia-Hecken aus dem SF-Film Minority Report oder die - wenn auch wahrscheinlich nur "verzauberte" - Peitschende Weide (org.: The Whomping Willow) aus dem Harry Potter-Universum. Auf Machwerke wie "Attack of the Killer Tomatoes!" (dt.: Angriff der Killertomaten!") aus dem Jahr 1978 möchte ich gar nicht näher eingehen.

Movies Compilation

Zum Speiseplan von Film-Kryptiden gehören bevorzugt leichbekleidete Frauen. Der Text des Filmplakates zu THE WOMAN EATER von 1959 verspricht: SEE the nerve shattering Dance of Death! SEE the Woman Eater ensnare the beauties of two continents! SEE the hideous arms devour them in a death-embrace! Und bevor jetzt jemand fragt: Nein, ich habe den Film nicht gesehen ...

Die Liste seltsamer Gewächse in Literatur und Film ließe sich zweifellos seitenlang fortsetzen. Auch ich habe mich immer wieder vom Reiz dieses Themas inspirieren lassen und lebende oder menschenfressende Pflanzen in meine Geschichten eingebaut, wie etwa die Wächterpflanze in "Lord Gamma", die Blutmandragore in "Oxeia", oder eben Aurora aus der gleichnamigen Readers Digest-Kurzgeschichte. Weitere Vertreter tummeln sich in "Der Weg der Engel" oder "Neues aus dem Irrhain". Und auch im zweiten AION-Band werden die Leser mit diversen Vertretern konfrontiert werden.


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