![]() VI - Hide and Seek - Ein ResümeeIch sehe was, was du nicht siehst … Mit diesen Worten beginnt ein Kinderspiel, das wahrscheinlich die meisten Leserinnen und Leser schon einmal gespielt haben.
Nach wie vor bleibt es jedem Leser überlassen, für sich zu entscheiden, was im Falle der beschriebenen Pflanzenwesen zuerst da war: das Huhn oder das Ei; besser gesagt: der authentische Reisebericht oder die Pulp-Fiction-Story. Viele Abenteurer und "Entdecker" menschenfressender Monstergewächse waren leider nur in ihrer Fantasie auf Reisen - falls sie nicht sogar selbst Bestandteil der Fantasie eines findigen Geschichtenerzählers sind. Jene, die wahrhaftig lebten, entpuppten sich später oft als moderne Münchhausen-Barone. Zum Schluss dieser kleinen Reise durch die Kryptobotanik und ihre Ableger kann ich mir - nach all den besuchten Internetseiten und der Recherche in Magazinen und Büchern - ein paar informativ-ironische Seitenhiebe leider nicht verkneifen. 1) Viele Autoren, die über menschenfressende Pflanzen schreiben oder die Artikel mit eigenen Ausschmückungen versehen, bedienen sich dabei gerne ein reißerischen Vokabulars und benutzen Verben wie "verschlingen". Im Falle der beschriebenen Pflanzen wird jedoch an keiner Stelle gekaut oder gar geschluckt, sondern allerhöchstens gefangen, umschlungen, ausgesaugt oder zerdrückt. Krokodile verschlingen ihre Beute, oder Großschlangen wie Anakondas, da sie nicht kauen können und die Beute als Ganzes oder zumindest in großen Stücken schlucken müssen. 2) Es ist erstaunlich, was die Entdecker eines seit Stunden zur "Kohlroulade" zusammengerollten Blattes beim Betrachten des selbigen alles über den Hergang des Dramas wissen. Die Augenzeugen besitzen entweder den Röntgenblick oder die bewundernswerte Fähigkeit in die Vergangenheit zu sehen und zu erkennen, was Stunden zuvor geschehen war. 3) Die Standorte aller aus kryptobotanischer Sicht interessanten Pflanzen befinden sich in so entlegen oder unzugänglichen Gebieten, das ein Auffinden so gut wie unmöglich wird. 4) Einige Autoren glauben, beim Zusammendrücken eines Menschen durch ein Pflanzenblatt passiere im Endeffekt das Gleiche wie beim Auspressen einer reifen Orange. 5) Wirklich amüsant lesen sich Berichte, in denen weltfremdere Autoren behaupten, Pflanzen in Mittel- oder Südamerika würden mit ihren Düften sogar große Affen wie Gorillas und Schimpansen anlocken und (selbstverständlich) "verschlingen". Bei allem Respekt, aber ich möchte den Affen sehen, der so betört ist vom Duft besagter Pflanze, dass er dafür den Atlantik überquert. Nun, trotz aller Zweifel und kritischen Spitzen will ich keinen falschen Eindruck hinterlassen. Als Autor phantastischer Literatur lasse ich mich gerne von phantastischen Geschichten inspirieren, unabhängig davon, ob sie nun wahr oder erfunden sein mögen. Wichtig ist in diesem Fall nur die Katalyse und Transformation des Stoffes; der schriftstellerische "Stein der Weisen" sozusagen, vom Gehörten oder Gelesenen hin zum Geschriebenen und Gedruckten. Und wer von uns kann schon mit Sicherheit sagen, ob es uns wirklich gibt oder wir alle nicht selbst nur Fantasiegebilde einer - zugegebenermaßen - ziemlich verrückten und größtenteils völlig unglaubwürdigen Geschichte sind … © Michael Marrak, Oktober 2007
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